Liebe tut weh

29 Oktober


Ich dachte, ich ruf mal an. Dich aufbauen.

Wenn du nicht ganz richtig tickst, hast du keinen Bock, Menschen hinter die Fassade blicken zu lassen. Du willst dir nicht anhören, dass du seltsam bist, du willst nicht das Unverständnis in ihren Augen sehen, du willst nicht darüber nachdenken, was sie wohl denken könnten, über dich, deine Gedanken, deine Gefühle oder die Abwesenheit derselben.

Du bist lieber der Clown, bei dem alle überrascht tun, wenn er früher oder später von der Brücke hopst.
Besser so als wenn es heißt: Oh. Die. Ja, das hab ich mir doch die ganze Zeit gedacht, dass mit der was nicht stimmt.

Es ist nicht so, als würde die Meinung anderer mir schrecklich viel bedeuten - dafür tue ich zu viele Dinge, die sie alle seltsam finden, und das offen bis demonstrativ. Aber in Bezug auf meine psychische Gesundheit? Die geht die Leute einen feuchten Dreck an.
Sie ist mein wunder Punkt. Meine Sollbruchstelle. Die Sache, mit der ich selbst noch lernen muss, irgendwie klarzukommen, bevor ich sie locker flockig vor anderen vertreten kann.
Im Job bin ich diejenige, die anderen hilft, und ich hänge zu sehr an dieser Arbeit, als dass ich meine Position dort in irgendeiner Form freiwillig schwächen würde.

Natürlich habe ich Freunde. Natürlich sind da Menschen, mit denen ich auch über meine Krankheiten spreche. Aber die meisten verstehen eben kein Wort.
Die meisten geben dir guten Willens gute Ratschläge, die dafür sorgen, dass du dich noch beschissener fühlst.

Geh mal wieder vor die Tür. (Du sitzt ja auch nur auf'm Arsch.)

Konzentrier dich auf das Gute in deinem Leben. (Guck mal, was du alles hast - du bist ganz schön undankbar.)

Arbeite an deiner Einstellung. (Reiß dich endlich mal zusammen.)

Wird schon wieder. (Piss dich mal nicht so ein.)

Wenn du nicht ganz richtig tickst, harmonierst du in manchen Dingen einfach nicht mit anderen Menschen.
Du gewöhnst dich dran.
Natürlich bist du einsam, ein wenig. Natürlich fühlst du dich mutterseelenallein, ein wenig. Natürlich denkst du, du bist ein Alien. Ein wenig.
Aber du hast Menschen um dich. Durchaus.

Du lernst halt, so die Klappe zu halten, dass du dich nicht ununterbrochen angegriffen fühlst - so angegriffen von deinen Freunden wie von dir selbst. So wie du dich selbst ununterbrochen in Stücke reißt.

Weißt du, ich hatte das total verinnerlicht. Ich dachte wirklich, ich käm klar.

Und dann kamst du.

Der, mit dem ich mal so gar nichts gemeinsam habe. Der, der vom ersten Augenblick irgendwie an mir kleben blieb, exakt so wie ich an ihm. Du die Sonne, ich die Finsternis. Gegensätze ziehen sich an, hm?

Schicksal, sagst du. Ja. Ja.

Du hast keinen Plan, wie sich das anfühlt, was ich da in mir trage. Du kennst die Begrifflichkeiten, und manchmal glaube ich, du weißt, was Sache ist - obwohl ich das Kind dir gegenüber noch nie direkt beim Namen genannt habe. Und dennoch: Dir ist das scheißegal.
Ich bin sicher, die Namen interessieren dich nicht einmal. Du nimmst das Gesamtpaket.

Du gibst mir keinen Ratschlag. Du nimmst mich einfach in den Arm.

Du akzeptierst mich und meine Monster. Durch und durch.

Du findest die Worte, die noch keiner gefunden hat, und du musst nicht einmal darüber nachdenken. Du bist einfach so. Du bist einfach du.

Und du machst mir eine Scheißangst.

Ich habe noch nie so schnell so tief geliebt. Ich habe noch nie so sehr vertraut.
Und ich hatte noch nie so extrem das Gefühl, dass der Verlust eines Menschen mich all meiner Funktionsfähigkeit berauben würde.

Wenn ich mich nicht ununterbrochen am Riemen reiße, habe ich vor allem Angst. Ausnahmslos. Aber mittlerweile krieg ich's hin, der Panik nicht mehr das Steuer zu überlassen. Mittlerweile schaffe ich's, ihr ins Gesicht zu schlagen und sie so lange am Boden zu halten, dass ich beinahe normal wirke. Beinahe normal lebe.

Aber die Vorstellung, du wärest fort?

Herztod.

Du bist mein Fels, mein Anker, du bist der erste Mensch in 30 Jahren, bei dem ich loslassen kann - weil er mich hält, egal, was kommt. Unsere Freundschaft ist nicht normal, weil wir beide es auch nicht sind.

Ich bin diese Overdose Gefühl nicht gewöhnt, ich ersticke daran, verbrenne innerlich, blute, blute, und doch bin ich süchtig danach. (Vielleicht ist meine Zuneigung zu dir auch nur ein Auswuchs meiner verdammten Autoaggression.)
Den Entzug würde ich nicht packen.
Und du weißt, ich bin Zyniker. Ich weiß, dass der Entzug kommen wird. Früher oder später. Ich denke jeden beschissenen Tag daran und versuche, mein Herz am Schlagen zu halten.

Du machst, dass ich fühle - viel zu viel, aber ein Verdurstender gibt sich auch nicht mit einem Schluck zufrieden. Ohne dich wäre die Leere wieder allumfassend. Ohne dich wäre da nur noch intensives Garnichtsmehr.

Also nehme ich die Angst und den Schmerz, das Herzrasen und die Luftnot und das alles zerfressende Feuer in mir, und ich feiere sie sogar, feiere sie wie meine größten Triumphe.

Ich frag mich nur: Wie fühlt sich das alles für dich an? Wie fühlt sich Zuneigung ohne Schmerzen an? Ohne Angst?

Oder gehört das einfach dazu?

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