Method Acting - oder: (über)Leben

21 Oktober


Ich bin ein guter Schauspieler. Das war nicht immer so, ganz sicher nicht, aber über die Jahre habe ich das Bild dieses Menschen, den ich darstellen will, immer mehr ausgefeilt, mit immer mehr Details versehen, mit Eigenheiten und Besonderheiten und Macken, so wie ein guter Autor seine Charaktere erschafft: Unperfekt, aber mit einer ganz kleinen Tendenz zum (Anti)Heldsein. Strange, aber liebenswert. Mit einem Bataillon von Ecken und Kanten, im Ganzen aber eine Einheit aus Fleisch und Blut und Seele und Zielen und Trieben.
Menschlich eben.

Ich bin ein guter Schauspieler: Wenn Menschen mich kennenlernen, sehen sie genau das. Ich bin verhaltensoriginell, ich bin witzig und ich bin immer irgendwie dabei, die Welt zu retten (alias: es zu versuchen). Ich bin strange, liebenswert und absolut menschlich.
Wenn sie mich kennenlernen, halten sie mich für eine von ihnen.

Dabei bestehe ich in Wahrheit nur aus Macken. Ich bin unperfekt, aber in mir ist nicht der geringste Funken Heldenhaftigkeit. Ich ersaufe in Passivität. Ich bin strange, aber nicht liebenswert. Mich zu lieben ist dumm, denn es kann dir jeden Tag passieren, dass ich auschecke und für immer verschwinde. Ich bin eine vernarbte Einheit aus Fleisch und Blut, aber meine Seele läuft auf Flatline, ich habe keine Ziele und ich bin gänzlich ungetrieben.
Scheiße, der Clown, mit dem du gerne einen trinken gehen würdest, wartet in Wahrheit jeden einzelnen verdammten Tag darauf, dass sein Leben endlich vorbei ist.

Es gibt diese Tage, da kann ich den Dreck einfach ausblenden - da bin ich fast sicher, die Menschenrolle nicht nur zu spielen, sondern genau so zu sein. Da denke ich: Läuft doch. Ich bin wie ihr. Ich lebe. Ich bleibe.
Das Ding ist nur, dass ich an diesen Tagen in Wahrheit eigentlich gar nicht denke, denn sobald ich meinem Hirn die Freiheit gebe, auch nur minimal zu reflektieren, bin ich wieder am Startpunkt angekommen. Dann sind da nur noch Sinnlosigkeit und Leere. Dann bin ich wieder tot - nur, dass mein beklopptes Herz das eben nicht kapiert und unbeirrt weiterschlägt.

Das ist verdammt schwer zu ertragen.

Deswegen lenke ich mich ab. Deswegen kralle ich mich verzweifelt an meiner Rolle fest, mit Klauen und Zähnen und allem, was ich habe. Deswegen bin ich so was wie ein Method Actor, der so sehr in seiner Rolle aufgeht, dass er sich selbst an der Garderobe abgibt und stattdessen dieser andere Jemand wird - so lange, bis der Job erledigt ist.

Ich wünschte oft, mein wahres Ich einfach an der Garderobe zurückzulassen.

Leider sind die Depressionen die Garderobenwächter. Und am Ende des Tages tragen sie mir die Realität hinterher - ob ich nun will oder nicht.

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