Treibstoff

28 Oktober


Da sind so viele Seelen in mir, dass ich sie nicht zählen kann, und sie alle fressen mich von innen her auf, zerreißen mich mit Milliarden spitzer Zähne, schlucken und verdauen mich, und manchmal denke ich: Das ist die Leere, die ich immer fühle. Ich kann nicht in mich hinein fühlen, weil nichts da ist, weil die Monster in mir alles zerfressen haben, was fühlen konnte, alles zerstört haben, was mal Gefühl gewesen ist, und das, was übrig ist, dieses beschissene Nichtfühlen, das macht mich so wahnsinnig, dass ich die Leere füllen muss... Mit Zorn und Blut und Schmerzen.
Und wenn mir dafür (wieder einmal) die Kraft fehlt, dann mit Essen.

Drei Tage die Woche esse ich fast gar nichts mehr. Dafür treibe ich Sport. Bis zu Schwindel und Erbrechen und völliger Erschöpfung. Weil sich das ziemlich geil anfühlt, wenn mein Körper mir Signale schickt, meine Nerven so arbeiten, dass ich empfinden kann, wenn ich spüre, dass da Muskeln sind, die schmerzen, und die Vorstellung, das auf ewig durchzuziehen, bis ich verschwunden bin, gibt mir den ultimativen Kick, denn dann würde ich endlich so viel Platz einnehmen, wie ich mir zugestehen würde: Gar keinen. Und ich will elend aussehen, krank und widerlich, weil mein Körper eine verdammte Nachricht an die Welt, an Himmel und Hölle und das allumfassende Garnichtsmehr da draußen ist.

Vier Tage die Woche fresse ich bis zum Umfallen. Weil da Menschen um mich sind, die ums Verrecken nicht aufhören wollen, mich zu mögen, die mich so mit Zuneigung überschütten, dass ich heil wirken muss, Menschen, denen ich keine Sorgen machen will, und dann esse ich normal, bis ich allein bin - allein mit der Leere, die sich dann wie Nebel in mir ausbreitet und jede Zelle füllt. Dann esse ich weiter. Und weiter. Und weiter. Bis ich nicht einmal mehr schlafen kann, weil ich so krankhaft vollgestopft bin, dass alles nur noch wehtut.

Mit Hunger hat das nichts zu tun. Ich muss einfach essen. Alles. In unendlichen Mengen.

Es sind die drei Tage Wenigwahn die Woche, die verhindern, dass ich platze. Und dennoch fühl ich mich mit 65 Kilo auf 1,68 fett und abstoßend und will meine 55 zurück und habe verdammt wenig Verständnis für meine chronische Dummheit und Lebensunfähigkeit.
Essen ist kein Antidepressivum, Essen füllt keine Löcher im Herzen, Essen ist einfach nur Treibstoff. Damit wir funktionieren können. Ich bin wie ein Auto, das nur aus Tank besteht. Ich besauf mich am Benzin, und natürlich kann ich fahren - aber in meinen Laderaum passt nicht einmal mehr ein beschissener Blumentopf. Ich erfülle keinen Zweck, verbrauche aber die Ressourcen eines Schwersttransporters.

Und das Gerede von Wissen ist Macht? Bullshit. Ich hab mal 40 Kilo abgenommen. Ich weiß, wie's geht. Ich hab Biologie-, Sport- und Ernährungsfachbücher inhaliert wie die verdammten Kakaokekse gestern Abend. Und? Gib mir nen Schub Depressivität und ich fange an, buchstäblich Papier zu fressen, sobald die Schränke leer sind.

Ich bin heute 913 Kalorien überm Verbrauch. Gestern waren es 1.929, vorgestern 1.210 Kalorien. Ich weiß nicht, wo ich morgen lande. Mir fehlt die Kraft, schon heute darüber nachzudenken. Ich bin müde, vollgestopft und leer. Und all das zu sehr, als dass ich jetzt Antrieb und Energie für Sport oder sonst irgendeine Form von Gegenwehr aufbringen könnte.

Vielleicht morgen.

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